EU-Klimaziele und die Wettbewerbsfähigkeit
Die Europäische Union befindet sich in einem komplexen Transformationsprozess, der durch zwei zentrale Ziele definiert ist: die Bekämpfung des Klimawandels und die Stärkung der eigenen Wettbewerbsfähigkeit.
Diese EU-Klimaziele sind so ambitioniert sie auch sein mögen, bergen die Herausforderung, in Einklang gebracht zu werden. In den letzten Monaten deutet sich eine mögliche Verschiebung der Prioritäten hin zur Wirtschaftsförderung ab, die die ehrgeizigen Klimaziele der EU in den Hintergrund rücken könnte. Mehrere aktuelle Initiativen der EU verdeutlichen diesen Fokus auf die Stärkung der europäischen Wirtschaft. Der Net Zero Industry Act zielt darauf ab, die Industrie bis 2050 klimaneutral zu machen, fördert gleichzeitig aber auch die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen. Der Critical Raw Materials Act soll die Abhängigkeit der EU von wichtigen Rohstoffen aus Drittländern reduzieren und die Versorgungsketten stärken.
Das Arbeitsprogramm der belgischen Ratspräsidentschaft für das erste Halbjahr 2024 legt
besonderen Fokus auf die „Förderung einer offenen, nachhaltigen und wettbewerbsfähigen
EU-Wirtschaft“. Die Antwerp Declaration und die Granada Declaration betonen die Bedeutung
von Innovation und Investitionen für die wirtschaftliche Zukunft Europas. Diese Initiativen
werfen die Frage auf, ob sich die EU-Kommission von der strikten Verfolgung der Klimaziele
abwendet und stattdessen die Stärkung der Wirtschaftskraft in den Vordergrund stellt.
Die Europäische Union verfolgt ehrgeizige Klimaziele, die eine Dekarbonisierung der
Wirtschaft und die Senkung der Energiekosten bis 2050 zum Ziel haben. Diese Ziele erfordern
massive Investitionen in klimaneutrale Technologien und eine grundlegende Transformation
der energieintensiven Industrie.
Kurzfristig steigende Energiekosten und Wettbewerbsnachteile
Der Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft ist jedoch mit kurz- und mittelfristigen
Herausforderungen verbunden. Die Umstellung auf erneuerbare Energien und die Einführung
effizienter Technologien führen zunächst zu einem Anstieg der Energiekosten.
Dies stellt die energieintensive Industrie in Europa vor große Probleme. Unternehmen in
Drittstaaten, die überwiegend fossile Brennstoffe nutzen und weniger strenge
Umweltauflagen haben, profitieren von deutlich niedrigeren Energiepreisen. Dies kann zu
Wettbewerbsnachteilen für europäische Unternehmen führen und sogar zu
Werksschließungen und Abwanderungen in Länder mit niedrigeren Energiekosten.
Die Europäische Union steht daher vor einem Dilemma: Wie kann sie einerseits ehrgeizige
Klimaziele erreichen und gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit der energieintensiven
Industrie in Europa sichern? Die aktuelle geopolitische Situation und die damit verbundenen Sanktionen gegen Russland verschärfen dieses Dilemma. Die stark gestiegenen Energiepreise belasten die europäische Wirtschaft und stellen die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen infrage.
Risiken und Chancen
Die beschriebenen EU-Initiativen und die damit verbundenen Herausforderungen und
Chancen sind besonders relevant für die energieintensive Industrie, zu der auch die Papierund Zellstoffindustrie in Österreich zählt. Die Dekarbonisierung der Produktionsprozesse und
die Reduzierung der Abhängigkeit von importierten Rohstoffen erfordern massive
Investitionen und innovative Lösungen.
Die Befürchtungen, dass ein striktes Festhalten an den Klimazielen zu Werksschließungen und
Abwanderung der energieintensiven Industrie in andere Regionen mit niedrigeren
Energiekosten führen könnte, haben sich in Deutschland schon an einigen Beispielen gezeigt.
Die hohen Energiepreise in Europa im Vergleich zu anderen Regionen stellen einen
erheblichen Wettbewerbsnachteil dar. Ein erneuter Fokus auf die Verbesserung der
Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie ist daher notwendig, um diese in Europa zu
halten. Dazu gehören Maßnahmen zur Senkung der Energiekosten, zur Förderung von
Innovationen und zur Stärkung der Forschungs- und Entwicklungslandschaft.
Es ist jedoch wichtig, dass dieser Fokus auf Wettbewerbsfähigkeit nicht zu einem Abweichen
von den Klimazielen führt. Die Bekämpfung des Klimawandels ist eine globale
Herausforderung, die von allen Nationen gemeinsam angegangen werden muss. Österreich
kann in diesem Prozess eine Vorreiterrolle spielen. Die Papier- und Zellstoffindustrie in
Österreich hat bereits große Fortschritte bei der Reduzierung von Emissionen und der
Steigerung der Energieeffizienz gemacht. Diese Erfahrung und Expertise kann anderen
Ländern als Vorbild dienen.
Die EU-Klimaziele und die Wettbewerbsfähigkeit der energieintensiven Industrie stehen in
einem Spannungsfeld. Die Herausforderung besteht darin, beide Ziele miteinander zu
vereinen und einen Weg zu finden, der sowohl den Schutz der Umwelt als auch den Erhalt der
industriellen Leistungsfähigkeit Europas gewährleistet. Die Herangehensweise der EU an diese
Herausforderung wird entscheiden, ob wir sie als Kontinent und Volkswirtschaft meistern.